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Text: Markus Loher
Bild: Unsplash
Datum: 27.02.2024

Die Qualität medizinischer Gutachten auf dem Prüfstand

Mit der Revision des ATSG setzte der Bundesrat auf den 1.1.2022 die Eidgenössische Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung EKQMB ein. Wie der Name verrät, soll die Kommission die Qualität in der medizinischen Begutachtung im Verfahren der Sozialversicherungen sichern (BBI 2017 2535, 2683). Eine erste öffentlichkeitswirksame Empfehlung der Kommission führte dazu, dass das Bundesamt für Sozialversicherungen die Zusammenarbeit mit der Begutachtungsstelle PMEDA AG beendete (Medienmitteilung BSV vom 4.10.2023: Keine weiteren Aufträge der IV für die Gutachterstelle PMEDA).

Im Januar 2024 hat die Kommission nun einen Katalog von Qualitätsindikatoren für die Beurteilung von medizinischen Gutachten veröffentlicht. Diese sollen eine zuverlässigere und effizientere medizinische Begutachtung ermöglichen, die Einhaltung von Mindeststandards und ethischen Richtlinien im Begutachtungsprozess fördern und damit die Transparenz im Begutachtungsprozess erhöhen (Roman Schleifer, Markus Braun, Michael Liebrenz, Medizinische Begutachtung: Qualität anhand von Indikatoren messen, Soziale Sicherheit CHSS; zu den Qualitätsindikatoren). Es handelt sich um Messinstrumente, die der Überwachung und Bewertung der Qualität medizinischer Gutachten dienen. Sie können Hinweise auf die Qualität des Gutachtens geben. Gleichzeitig sollen die Gutachten vergleichbar werden.

Das sind die Qualitätsindikatoren:

  1. Bearbeitungsfristen dürfen nicht zu lang sein

  2. Dauer des Untersuchungsgesprächs muss der Fallkomplexität angemessen sein

  3. Ethische Grundprinzipien des Begutachtungsgesprächs: Ein respektvoller und fairer Ablauf muss gewährleistet sein

  4. Nachvollziehbare Begründung der Diskrepanzen zu Vorberichten

  5. Berücksichtigung der Ressourcen, Belastungen und Funktionseinschränkungen bei der Begutachtung

  6. Die gutachterliche Beurteilung der Konsistenz und Plausibilität muss nachvollziehbar begründet werden.

Obwohl als Messinstrumente gedacht – als solche sind die Indikatoren keine Qualitätskriterien – können sie dem Rechtsanwender hilfreiche Stütze sein bei der Würdigung medizinischer Gutachten. Auffälligkeiten bei einem der Indikatoren müssen ihn zu einer vertieften Prüfung des Gutachtens veranlassen. In der geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts gelangen die Indikatoren 4 bis 6 bereits zur Anwendung, wenn es um die Beurteilung des Beweiswertes eines Gutachtens geht. Keine Rolle spielten hingegen die Indikatoren 1 bis 3. Vielmehr wiederholte das Bundesgericht, dass die Dauer des Explorationsgesprächs für sich allein nicht gegen die Qualität eines Gutachtens spreche (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 29.3.2010, 8C_942/2009, E. 5.2). So finden sich in der Praxis Beispiele von psychiatrischen Explorationsgesprächen von unter einer Stunde. Korrekterweise wird die Dauer in Relation zur Komplexität des Versicherungsfalls gesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Dauer des Untersuchungsgesprächs wieder mehr Berücksichtigung findet und bei kurzen Explorationsgesprächen genauer hingeschaut wird. Auch lange Bearbeitungszeiten waren bisher kein Indikator, welcher bei der Beurteilung eines Gutachtens Berücksichtigung fand. Die persönliche Erfahrung zeigt aber, dass viele Sachverständige mehrmals gemahnt werden müssen, bis das Gutachten erstellt ist. Dies bei ohnehin schon sehr langen Abklärungszeiten – Verfahren über mehrere Jahre sind heute die Regel. Verzögerungen in diesem Prozess können die Akzeptanz des Gutachtens von vornherein mindern. Dieser Indikator dient aber auch dem Ziel eines einfachen und raschen Verfahrens, welches die jüngste Revision des IVG (Weiterentwicklung der Invalidenversicherung) verfolgte. In der bisherigen Praxis war auch ein respektvoller und fairer Ablauf während der Begutachtung nur von marginaler Bedeutung. Oft berichten Klient:innen über respektloses Verhalten der Gutachter:innen. Davon zeugen auch etliche Erfahrungsberichte in Zeitungen und Journalen. Dass nun dieser Aspekt als Indikator für die Qualität des Gutachtens dienen soll, ist deshalb zu begrüssen. Er stellt einen Paradigmenwechsel dar; hin zu einem Abklärungsverfahren, in welchem der Mensch nicht nur als Sozialversicherungsnummer, sondern wieder als Individuum wahrgenommen wird. Dies dürfte die Akzeptanz eines Gutachtens weiter fördern.

Die bisherigen Projekte der EKQMB zeugen von einer hohen Motivation, die Qualität der Begutachtung tatsächlich zu verbessern. Dabei darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass die EKQMB bloss Empfehlung aussprechen kann (vgl. dazu Art. 7 ATSV). Dadurch wird die Bedeutung der Kommission stark relativiert. Der Präsident der EKQMB sowie etliche Stimmen aus der juristischen Praxis und Lehre fordern deshalb, dass die Kommission nicht nur Empfehlungen aussprechen, sondern Verbindlichkeiten festlegen kann. Angesichts der desolaten Situation bei der Qualität der Gutachten ist dies auch notwendig: Bis heute besteht keine hinreichende wissenschaftlich erarbeitete Grundlage, um die Frage beantworten zu können, wie es um die Qualität der Gutachten in der Schweiz steht. Vom Universitätsspital Basel veröffentliche Studien brachten zu Tage, dass eine hohe Abweichung in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zwischen einzelnen Sachverständigen besteht (RELY – Studien: https://www.unispital-basel.ch/dam/jcr:a3605f93-aad4-4997-9d82-c02cf6891200/RELY_Public-Results_Web_2019_07_03-RK.pdf). Ob und in welchem Grad eine Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, hängt zu einem hohen Mass vom Sachverständigen ab und nicht von der gesundheitlichen Beeinträchtigung oder den individuellen Umständen der versicherten Person. Es kommt also darauf an, von wem man begutachtet wird. Diese Ungleichbehandlung kann nicht weiter hingenommen werden. Die EKQMB lancierte bereits verschiedene Projekte, um diesen Mangel zu beheben. Ihre Erkenntnisse sind von besonders hohem Wert, weil sie mit einem wissenschaftlich-methodischen Ansatz gewonnen werden. Den Vorschlägen der EKQMB darf deshalb nicht nur Empfehlungscharakter zukommen. Sie müssen, um nicht wirkungslos zu bleiben, für die Sachverständigen verbindlich sein. Andernfalls dürfte sich an der Qualität der Gutachten kaum etwas ändern.

Text: Markus Loher
Bild: Unsplash
Datum: 27.02.2024

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