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Text: RA Aurelia Jenny, RA Markus Loher, RA Nathalie Tuor
Bild: Adobe Stock
Datum: 05.12.2024

Wiedererwägung von «alten» Renten der Unfallversicherung ist nicht mehr zulässig

In den vergangenen Jahren hatte sich in der Unfallversicherung eine Praxis etabliert, die es den Versicherungsträgern gestattete, einst zugesprochene Versicherungsleistungen für die Folgen eines Schleudertraumas oder einer ähnlichen Verletzung unter dem Titel der Wiedererwägung aufzuheben. Dies selbst dann, wenn die Renten bereits Jahrzehnte lang ausbezahlt wurden und ohne dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen verändert hätte.

Gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG können Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Entscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Die Wiedererwägung ist ohne zeitliche Limitierung zulässig. Mit diesem Instrument sollen gravierende Fehler berichtigt werden – was grundsätzlich zu befürworten ist.

Leistungen der Unfallversicherung werden nur ausgerichtet, wenn die gesundheitlichen Verletzungen natürliche und adäquate Folge eines Unfalls sind (vgl. für psychische Fehlentwicklungen nach Unfällen: BGE 115 V 133; vgl. für Schleudertraumata, äquivalente Verletzungen der Halswirbelsäule und Schädel-Hirntraumata ohne organisch objektiv ausgewiesene Beschwerden: BGE 134 V 109). Im Urteil vom 30.8.20218 (8C_525/2017) sprach das Bundesgericht sich erstmals dafür aus, dass ein Wiedererwägungsgrund gegeben ist, wenn die adäquate Kausalität im Zeitpunkt der Rentenzusprache nicht geprüft worden war. Es argumentierte, dass dies einer falschen Rechtsanwendung entspreche und die einstige Rentenverfügung daher zweifellos unrichtig sei. Es ergänzte, es sei von einer unterlassenen Adäquanzprüfung auszugehen, wenn entsprechende Hinweise in den Akten fehlten.

In der Praxis führte dies dazu, dass gewisse Versicherer die Renten, die sie Personen mit Schleudertrauma oder einer ähnlichen Verletzung ausrichteten, systematisch in Wiedererwägung zogen. Die Betroffenen standen so nach langjährigem Rentenbezug und Abwesenheit vom Arbeitsmarkt plötzlich ohne Existenzgrundlage da. Dies aus Gründen, für welche einzig der rechtskundige Versicherer einzustehen hatte.

Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht nun aufgegeben. Im Urteil vom 27.11.2024 (8C_698/2023) anerkannte es, dass die Versicherten unter Umständen in eine Beweisnot geraten. Ob sich Hinweise auf eine Adäquanzprüfung in den Akten befinden, hänge massgebend von der Versicherung ab. Die versicherte Person habe im Zeitpunkt der Rentenzusprache kaum ein Interesse, die Akten auf ihre Vollständigkeit hin zu prüfen, wenn sie eine Rente zugesprochen erhält. Insofern dürfte es ihr, Jahre später, kaum je möglich sein, eine Adäquanzprüfung nachzuweisen.

Das Bundesgericht stellte fest, dass bei einer Leistungszusprache immer von einer zumindest impliziten Adäquanzprüfung ausgegangen werden müsse, zumal eine Unfallversicherung die Leistungsanforderungen kennt. Das Bundesgericht bezog sich im neuen Urteil nun wieder auf seine frühere Rechtsprechung und bestätigte, dass die Leistungszusprache durch die Unfallversicherung eine implizit vorgenommene Adäquanzprüfung einschliesse.

Im neuen Urteil hob das Bundesgericht die Einstellung der Rente auf. Die Versicherte erhält deshalb die ihr im Oktober 2007 zugesprochene Rente weiterhin. Leer gehen allerdings alle jene aus, bei denen die Rente bereits rechtsgültig aufgehoben wurde. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts lässt eine Revision von Leistungen aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung – zumindest bis heute – nicht zu. Bei vielen Personen wurden die Renten, wie nun feststeht, zu Unrecht aufgehoben. Viele von ihnen dürften ihre finanzielle Existenz verloren haben und nun vom Sozialamt abhängig sein.

Die Praxisänderung ist sicherlich zu begrüssen. Allerdings zeigt diese Episode einmal mehr, dass die Rechtsprechung im Bereich der Sozialversicherungen nicht kohärent und stark von den einzelnen Bundesrichter:innen abhängig ist. Dieselben Argumente, die die Richter:innen im jüngsten Urteil gegen die Wiedererwägung erwogen, hätten auch im Entscheid vom 30.8.20218, 8C_525/2017 zur Ablehnung der Wiedererwägung führen müssen. So wurden im nun ergangenen Urteil keine neuen Erkenntnisse oder Sachumstände diskutiert.

Text: RA Aurelia Jenny, RA Markus Loher, RA Nathalie Tuor
Bild: Adobe Stock
Datum: 05.12.2024

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