Text: RA Aurelia Jenny
Bild: Michael Sonderegger
Datum: 08.08.2025
Als geschädigte Person gilt, wer durch eine Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt wurde (Art. 115 StPO). Unmittelbar verletzt ist die Trägerin des durch die verletzte Strafnorm geschützten Rechtsguts, demnach, wer unter den Schutzbereich der verletzten Strafnorm fällt (BSK StPO-Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 21). Des Weiteren kennt die StPO den Begriff des Opfers, das ebenfalls geschädigte Person ist und durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 116 StPO).
Die geschädigte Person gehört zu den «anderen Verfahrensbeteiligten» i.S.v. Art. 105 Abs. 1 lit. a StPO. Ist sie in ihren Rechten unmittelbar betroffen, stehen ihr die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu (Art. 105 Abs. 2 StPO). Darüber hinaus hat die geschädigte Person das Recht, sich als Privatklägerschaft zu konstituieren, womit sie am Strafverfahren als vollwertige Partei (vgl. Art. 104 StPO) teilnimmt. Um am Strafverfahren aktiv teilzunehmen, muss sich die geschädigte Person ausdrücklich als Privatklägerschaft (Straf- und/oder Zivilkläger:in) erklären (Art. 118 Abs. 1 StPO). Bei Antragsdelikten, also Straftaten, die nur auf Strafantrag hin verfolgt werden, gilt die geschädigte Person mit dem Einreichen des Strafantrages als Privatkläger:in, sodass eine separate zusätzliche Erklärung nicht nötig ist (Art. 118 Abs. 2 StPO). Bei Offizialdelikten, die von Amtes wegen verfolgt werden, muss die Konstituierung als Privatklägerschaft hingegen spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens durch schriftliche oder mündliche Erklärung gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft oder der Polizei erfolgen (Art. 118 Abs. 3 StPO).
Mit der Konstituierung als Privatklägerschaft erhält die geschädigte Person Parteistellung und damit wichtige Verfahrensrechte. Dazu gehören unter anderem die Akteneinsicht, das Recht auf Teilnahme an Einvernahmen, das Stellen von Beweisanträgen, die Abgabe von Stellungnahmen zur Sache und zum Verfahren, das Einlegen von Rechtsmitteln sowie ein Beizug eines Rechtsbeistands. Diese Rechte ermöglichen, das Verfahren nicht nur zu beobachten, sondern aktiv mitzugestalten und so die eigenen Interessen gezielt und wirkungsvoll zu vertreten.
Dabei besteht die Möglichkeit, eine Strafklage, eine Zivilklage oder beides kombiniert zu erheben. Mit der Zivilklage werden privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht, die aus der Straftat abgeleitet werden, wie Schadenersatz oder Genugtuung (Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO, sog. Adhäsionsverfahren, meist abgeleitet aus Art. 41 ff. OR, Art. 58 und 62 SVG, Art. 28a Abs. 3 ZGB usw.).
Nicht per se zum Geschädigtenkreis zählen u.a. die Rechtsnachfolger der geschädigten Person, also bspw. deren Erben, die nur mittelbar verletzt sind (BSK StPO-Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 21a und 26). Hier ist Art. 121 StPO zu beachten, wonach die Rechte der verstorbenen geschädigten Person auf die Angehörigen (vgl. Art. 110 Abs. 1 StGB: Ehegatte, eingetragene:r Partner:in, Verwandte gerader Linie, voll- und halbbürtige Geschwister, Adoptiveltern, -geschwister und -kinder) in der Reihenfolge der Erbberechtigung übergehen. Auch geht das Strafantragsrecht der verstorbenen geschädigten Person auf die Angehörigen über und diese erhalten die Befugnis, das Antragsrecht stellvertretend auszuüben (Art. 30 Abs. 4 StGB). Besondere Bestimmungen gelten für die Angehörigen von Opfern (sog. indirekte Opfer). Als diese gelten Ehegatt:in, Kinder, Eltern sowie die Personen, die dem Opfer in ähnlicher Weise nahestehen (Art. 116 Abs. 2 StPO). Ihnen stehen selbständige Verfahrensrechte zu, insbesondere können sie sich – soweit sie eigene privatrechtliche Ansprüche (bspw. Art. 45 Abs. 3 oder 47 OR) geltend machen – selbst als Privatklägerschaft konstituieren, womit ihnen ebenfalls Parteistellung zukommt (Art. 117 Abs. 3 StPO und Art. 122 Abs. 2 StPO). In diesem Fall können sie nebst der Zivilklage gleichzeitig Strafklage erheben (BSK StPO-Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 11). Stirbt das (direkte) Opfer, können die Angehörigen demnach sowohl als dessen Rechtsnachfolger (Art. 121 StPO) als auch aus eigenem Recht am Strafverfahren partizipieren.
Neben der Möglichkeit, durch ausdrückliche Erklärung am Verfahren teilzunehmen, kann auf eine Teilnahme auch verzichtet werden. Ein solcher Verzicht oder der Rückzug einer bereits erhobenen Privatklage ist endgültig und umfasst mutmasslich die Straf- als auch die Zivilklage (Art. 120 StPO). Der Rückzug hat jedoch keinen Einfluss auf einen allfällig gestellten Strafantrag: Dieser bleibt weiterhin bestehen, sofern er nicht gesondert zurückgezogen wird. Umgekehrtes gilt für den Rückzug oder den Verzicht auf das Strafantragsrecht, der auch die Adhäsionsklage betrifft (vgl. Art. 30 Abs. 5 StGB; BSK StPO-Mazzucchelli/Postizzi, Art. 120 StPO N 3). Der Verzicht auf das Strafantragsrecht sollte wohlüberlegt sein und nicht im Affekt oder unter emotionalem Druck geschehen. So kann bspw. in Haftpflichtfällen mit unklarer oder bestrittener Haftung ein wichtiger Erkenntnisgewinn aus dem Strafverfahren resultieren.
Zu beachten ist, dass die meisten Strafverfahren (über 90%) in der Schweiz nicht vor Gericht, sondern ganz ohne Verhandlung, mit einem sog. Strafbefehl abgeschlossen werden. Zivilforderungen können Gegenstand des Strafbefehls sein, soweit die beschuldigte Person die Forderung anerkennt oder keine weiteren Beweiserhebungen nötig sind und der Streitwert Fr. 30'000 nicht übersteigt (Art. 353 Abs. 2 StPO). Die bisherige Erfahrung mit dieser jungen Gesetzesbestimmung zeigt, dass es weitestgehend bei der «Kann-Bestimmung» bleibt und höchst selten über – auch substantiierte Forderungen – im Strafbefehlsverfahren entschieden wird. Nach alter Regelung waren Zivilforderung im Strafbefehl vorzumerken, soweit die beschuldigte Person diese anerkannt hatte. Dies gilt – obschon nicht mehr ausdrücklich erwähnt – auch weiterhin und ist insbesondere nicht auf den Betrag von Fr. 30'000 beschränkt (BSK StPO-Daphinoff, Art. 353 StPO N 38 f.). Eine Abweisung der Zivilforderung kann im Strafbefehl dahingegen nicht erfolgen (a.a.O., N 51), sondern es besteht lediglich die Möglichkeit, diese auf den Zivilweg zu verweisen, was in der Praxis die Regel darstellen dürfte. Kommt es zum gerichtlichen Verfahren, ist zu beachten, dass die Privatklägerschaft ihre Zivilklage noch vor Abschluss der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zurückziehen muss, sofern sie diese auf dem Zivilweg erneut geltend machen möchte (Art. 122 Abs. 4 StPO; anders Art. 65 ZPO).
Die Zivilforderung ist nach Möglichkeit bereits bei der Konstituierung als Privatklägerschaft zu beziffern und begründen, spätestens aber in der vom Gericht angesetzten Frist, sofern es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt (Art. 123 StPO). Aus der Formulierung von Art. 318 Abs. 1 und 1bis (neu seit Januar 2024) StPO ist hingegen zu schliessen, dass die Staatsanwaltschaft den Parteien, die sich bereits als Privatkläger:in konstituiert haben, den Verfahrensabschluss mittels Strafbefehls nicht mehr vorgängig mitteilt (a.M. BSK StPO-Wiprächtiger/Hans/Steiner, Art. 318 StPO N2, wonach auch der bereits als Privatklägerin konstituierten Person eine solche Schlussverfügung zuzustellen ist). Vorsichtshalber muss daher mit dem jederzeitigen Erlass des Strafbefehls gerechnet werden, weshalb sich auch die frühzeitige Bezifferung und Begründung der Forderung aufdrängt.
Text: RA Aurelia Jenny
Bild: Michael Sonderegger
Datum: 08.08.2025
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